AARRR vs. RARRA: Die beiden Growth Marketing Frameworks im Vergleich
AARRR ist wohl das bekannteste und meist angewandte Framework unter Marketing-Experten zur Definition von Metriken und dem Aufbau eines Funnels. Doch wird ein Framework von 2007 (das selbe Jahr, in dem das aller erste iPhone vorgestellt wurde!) den heutigen Herausforderungen noch gerecht? Oder gibt es bessere und sinnvolle Alternativen?
Growth Marketing – Gemeinsam wachsen
Growth Marketing beschreibt eine ganzheitliche Herangehensweise, um das Unternehmenswachstum voranzutreiben. Nicht nur das Marketing-Team spielt hierbei eine Rolle, sondern das gesamte Unternehmen mit all seinen unterschiedlichen Abteilungen trägt am Ende dazu bei, aktivierte Nutzer sowie glückliche Kunden zu generieren. Um das Marketing also skalieren zu können, müssen unterschiedliche Disziplinen, Kanäle und Abteilungen vernetzt werden.
Diese Vernetzung versucht man mit unterschiedlichen Growth Frameworks darzustellen und zu definieren – zwei davon stellen wir Ihnen hier vor.
Das AARRR Framework – Von Acquisition bis Revenue
Das AARRR Framework wird wegen des schönen Akronyms auch Pirate Metrics genannt. Dabei steht die Abkürzung für die fünf Schritte des Customer Lifecycle:
- Acquisition: Nutzer kommen von den verschiedensten Quellen auf die Seite.
- Activation: Nutzer genießen den ersten Besuch auf der Seite.
- Retention: Nutzer kehren zurück und besuchen die Seite mehrere Male.
- Referral: Nutzer mögen das Produkt und empfehlen es weiter.
- Revenue: Nutzer tätigen irgendeine Form der Transaktion.
DAVE MCCLURE’S „PIRATE METRICS“: DER GROWTH FUNNEL AARRR
Das Schema des AARRR folgt einer logischen Abfolge von oben nach unten. Die absichtlich gewählte lineare Art des Frameworks stellt Teile des Marketing-Funnel dar. Vorwiegend wird dieses Framework von Start-ups genutzt, die auf schnelles und effizientes Wachstum angewiesen sind. Es fokussiert sich auf die wichtigsten Metriken, nämlich das Wachstum des Unternehmens zu messen. Die Metriken sind greifbar und zugleich einfach umzusetzen.
Das Framework soll dabei helfen, die eigenen Kunden zu verstehen und mithilfe dieser Erkenntnisse den Funnel zu optimieren. Es geht darum, die wertvollsten Metriken zu evaluieren, um die gesteckten Ziele zu erreichen.
Den klassischen Marketing-Funnel bilden Phasen-Modelle wie das See-Think-Do-Care Framework ab. Diese Modelle beschreiben eine mehrphasige Werbestrategie, die von der Gewinnung der Aufmerksamkeit des Nutzers bis hin zur Handlung, z.B. dem Kauf einer Ware, geht. Dabei geht es in erster Linie um die Wahl der richtigen Werbekanäle sowie der richtigen Ansprache. Anders verhält es sich bei Growth-Marketing Frameworks, die eine holistische Betrachtung des Unternehmens voraussetzen und über die Werbestrategie hinausgehen.
Schauen wir uns jetzt die einzelnen Schritte des AARRR Growth Frameworks mal genauer an!
1. Acquisition
Der erste Schritt des Frameworks beschreibt die Akquise potenzieller Kunden, also wie Nutzer Ihr Unternehmen finden.
Dabei geht es nicht bloß darum, durch SEA oder SEO neue Nutzer auf die Seite oder App zu bringen – das AARRR Framework geht hier bereits in die Tiefe.
Neben der richtigen Wahl der Marketing-Kanäle, muss die Metrik der Akquisition klar definiert werden – erst dann entfaltet dieses Framework sein ganzes Potenzial. Reicht ein Webseitenbesuch schon aus oder ist das Anmelden für den Newsletter erst die Akquisition? Das AARRR Framework gibt uns alle Freiheiten, den Funnel an die eigenen Bedürfnisse anzupassen und jeden Schritt im Funnel weiter in Micro-Conversions aufzuteilen.
Nehmen wir an, unser Ziel der Akquisition sind Webseitenbesuche, dann können wir dieses Ziel noch weiter aufteilen, in Nutzer mit geringem Interesse und in Nutzer mit gesteigertem Interesse.
In folgender Tabelle ist genau aufgeführt, wie diese beiden Nutzergruppen definiert werden. Dabei ist es wichtig, dass jeder Schritt im Funnel einen monetären Wert hat!
Funnelschritt | Metrik | Conversion Rate | Wert des Nutzers |
---|---|---|---|
Acquistion | Besucht die Website | 100% | 0,01€ |
Springt nicht ab(≥2 Seitenaufrufe, ≥1 Klick, 20 Sek. Verweildauer) | 75% | 0,04€ |
2. Activation
Bei der Aktivierung der Nutzer geht es um das Nutzererlebnis beim ersten Besuch der Webseite oder App. Es reicht nicht, den Nutzer auf die Seite zu bekommen oder die App zu installieren, wenn er sie am nächsten Tag nicht mehr benutzt. Das Ziel der Aktivierung ist es, dem Nutzer den Mehrwert des Produkts oder der Dienstleistung so schnell wie möglich klarzumachen – auch User Onboarding genannt.
Die Anmeldung zum Newsletter ist z.B. ein wertvoller Schritt in der Aktivierung eines Nutzers, aber der Nutzer ist erst dann wirklich aktiviert, wenn er den Newsletter bei Erhalt öffnet und somit sein wahres Interesse bekundet. Das Öffnen des Newsletters wäre zwar schon eine Form der Retention und somit der nächste Schritt im Funnel, aber das zeigt wieder, dass die einzelnen Schritte im Framework nicht nur für sich betrachtet werden können.
Wie bei der Akquisition gilt es die Metriken in diesem Schritt des Funnels genau zu definieren. Wenn bereits Daten zum Nutzerfluss und -verhalten vorliegen, hilft es sich anzuschauen, welche Verhaltensmuster aktive Nutzer haben, um diese dann in klar definierte Metriken zu transformieren.
Funnelschritt | Metrik | Conversion Rate | Wert des Nutzers |
---|---|---|---|
Aktivierung | Zufriedener erster Besuch (≥5 Seitenaufrufe, ≥5 Klicks, 90 Sek. Verweildauer) | 30% | 0,20€ |
Newsletter Anmeldung o.Ä. (Aktion, die zum Wiederkehren führen könnte) | 5% | 1,00€ |
3. Retention
Das erste R in AARRR steht für Retention und betrachtet die wiederkehrenden Nutzer. Zu betrachten gilt es sowohl, wie viele Nutzer wiederkehren, als auch Gründe dafür, dass sie es nicht tun.
Für ein E-Commerce Unternehmen bedeutet das, dass ein Kunde nicht nur einmal kauft, sondern mehrere Male. Für eine App bedeutet das, dass der Nutzer die App regelmäßig öffnet und benutzt. Bei einem SaaS Unternehmen bedeutet es, dass angemeldete User den Service regelmäßig aktiv nutzen.
Dabei ist es nicht nur wichtig, sich die Retention Rate anzuschauen, sondern auch die Churn Rate, welche das Gegenteil der Retention Rate ist. Die Churn Rate gibt Aufschluss darüber, ob der Product-Market-Fit gut ist oder eventuell die Versprechungen aus der Kommunikation nicht eingehalten werden. Vereinfacht kann man sagen, dass die Churn Rate also die Anzahl an Kunden, die verloren gehen, kleiner sein muss, als die Anzahl an Kunden, die man gewinnt. Wenn das nicht der Fall ist, wird kein Wachstum generiert!
Funnelschritt | Metrik | Conversion Rate | Wert des Nutzers |
---|---|---|---|
Retention | Newsletter Öffnung, Notification (Nutzer wird zurück auf Website/App geführt) | 3% | 3,00€ |
Mehrfache Besuche (> 4 Besuche in den ersten 30 Tagen) | 2% | 6,00€ |
4. Referral
Referral ist auch besser bekannt als Mund-zu-Mund-Propaganda oder Freunde werben Freunde. Dieser Schritt im Funnel ist sicherlich die Königsdisziplin bei der Akquisition neuer Nutzer. Das Wachstums-Potenzial ist bei einer guten Referral-Strategie enorm. Die Marketingkosten fallen dabei gering aus.
Dieser Schritt des Funnels beschreibt eigentlich den Traum jedes Unternehmens: Überzeugte Kunden empfehlen ihrem Freundes- und Bekanntenkreis das Produkt. Das Fundament dafür ist natürlich ein gutes Produkt! Doch erst mit einem gut ausgearbeiteten Weiterempfehlungsprozess werden Kunden dazu angetrieben, das Produkt weiterzuempfehlen. Der Kunde sollte incentiviert und für seine Mühen belohnt werden.
Funnelschritt | Metrik | Conversion Rate | Wert des Nutzers |
---|---|---|---|
Referral | Empfiehlt ≥1 Nutzer, der die Seite besucht | 2% | 2,00€ |
Empfiehlt ≥1 Nutzer, der aktiviert wird | 1% | 5,00€ |
5. Revenue
Am Ende immer noch die wichtigste Metrik, der Umsatz! Wenn die ersten Schritte des Funnels bereits optimiert wurden, dann sollte die letzte Stufe des Funnels gut laufen.
Die vorangegangen Stufen des Funnels dienen dem Ziel, den Umsatz zu steigern und die Akquisekosten zu senken. Neben der Senkung der Akquisekosten, ist die Steigerung des Customer Lifetime Value (CLV) eine weitere Methode, um den Umsatz zu steigern.
Funnelschritt | Metrik | Conversion Rate | Wert des Nutzers |
---|---|---|---|
Revenue | Nutzer generiert Umsatz | 2% | 6,00€ |
Nutzer generiert break-even Umsatz | 1% | 30,00€ |
RARRA – Andere Reihenfolge, anderer Fokus
RARRA nimmt im Grunde die Bestandteile des AARRR Frameworks und ändert den Blickwinkel auf den Funnel. Wichtig ist bei diesem Framework nicht die Reihenfolge der Schritte, die ein Nutzer im imaginären Funnel geht, sondern vielmehr die Priorität, die jeder Schritt hat.
Dieses Framework legt seinen Fokus klar auf mobile Produkte, wie etwa Apps, kann aber auch für andere Produkte relevant sein.
- Retention: Der Kunde braucht einen hohen Mehrwert, um das Produkt regelmäßig zu nutzen
- Activation: Nutzer genießen den ersten Besuch auf der Seite.
- Referrel: Nutzer mögen das Produkt und empfehlen es weiter.
- Revenue: Nutzer tätigen irgendeine Form der Transaktion.
- Acquisition: Nutzer kommen von den verschiedensten Quellen auf die Seite.
MIT FOKUS AUF RETENTION: DER GROWTH FUNNEL RARRA
1. Retention
Laut der Entwickler des Frameworks Thomas Petit und Gabor Papp, fokussiert sich das Framework auf die wichtigste Metrik, nämlich die Retention: Nutzer an die App oder Website zu binden.
Die Retention soll im Mittelpunkt stehen und bei jeder Entscheidung berücksichtigt werden, sei es bei der Produktentwicklung oder der Wahl der Marketingkanäle. Zu Beginn gilt es die Entwicklung der Retention Rate zu betrachten und zu identifizieren, an welcher Stelle die meisten Nutzer abspringen. Ist dieser Punkt identifiziert, steht fest, an welchem Punkt die Optimierung beginnen muss.
Zusätzlich sollte das Verhalten bestehender Nutzer analysiert werden.
- Was machen treue Nutzer anders?
- Welche Funktionen nutzen sie am meisten?
- Wie verhalten sich diese Nutzer innerhalb der ersten 48 Stunden?
Eine Kohorten-Analyse kann dabei helfen, die richtige User Journey zu identifizieren, um im Anschluss neue Nutzer gezielt auf diesen Weg zu führen. Sowie bei dem zuvor verwendeten Beispiel von Twitter.
Auch bei diesem Framework gilt es die einzelnen Stufen des Funnel in Micro-Conversions aufzuteilen und jeder Metrik einen monetären Wert zuzuordnen.
2. Activation
Im RARRA Framework liegt die zweite Priorität bei der Aktivierung der Nutzer. Erst aktivierte Nutzer kehren zur App oder Webseite zurück, daher ist diese Stufe im Funnel der größte Unterstützer der Retention Rate.
Gerade bei Apps kann man den User gut vom Mehrwert überzeugen, indem der Nutzer im Onboarding an die Hand genommen wird und die wichtigsten Funktionen der App erklärt bekommt. So verbringt der Nutzer weniger Zeit damit, herauszufinden, wie was funktioniert und erkennt so schneller den Mehrwert.
3. Referral
Das Referral ein starkes Mittel, neue Nutzer mithilfe des Vertrauens bestehender Nutzer zu gewinnen ist, haben wir schon beim AARRR Framework behandelt. Beim RARRA Framework wird diese Form der Kundengewinnung sogar höher priorisiert als die klassische Akquise neuer Nutzer. Hier wird auf zufriedene und sehr aktive Nutzer gesetzt, welche das Produkt lieben und entsprechend hervorragende Markenbotschafter sind.
4. Revenue
Die ersten drei Stufen des Frameworks zielen darauf ab, das Produkt sowie die Marketingaktivitäten auf langfristig zufriedene Kunden auszurichten, die stabile und vorhersagbare Umsätze generieren. Durch eine hohe Rate an wiederkehrenden Nutzern steigt der Customer-Lifetime-Value. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass mehr Geld in die Akquise neuer Nutzer investiert werden kann.
5. Acquisition
Getreu der Priorisierung der einzelnen Stufen des Frameworks, liegt der Fokus bei der Auswahl der Marketingkanäle auf der Retention!
Am einfachsten lässt sich die Performance der Marketingkanäle mit einer Kohorten-Analyse auswerten. Durch diese Betrachtung liegt nicht der Marketingkanal mit den geringsten Marketingkosten im Fokus, sondern der Kanal mit den wertvollsten Nutzern. Zwar können die Kosten pro Neukunde höher ausfallen, langfristig ist der Nutzer durch einen höheren Customer-Lifetime-Value jedoch profitabler.
Das beste Growth Marketing Framework – Wer macht das Rennen?
Welches Framework das bessere ist, lässt sich pauschal nicht beantworten, denn das hängt stark vom Produkt und Unternehmen ab. In unserem Artikel Sind Growth Loops die neuen Funnel? haben wir uns zudem gefragt, ob nicht sogar zirkuläre Modelle eine bessere Lösung für nachhaltiges Wachstum darstellen.
Das AARRR Framework kann man aber grundsätzlich als den Generalisten betrachten. Es kann für so ziemlich jedes Online Business verwendet werden. Trotz der klassischen Funnel-Perspektive, sollte man jedoch Themen wie die Retention und die generelle Nachhaltigkeit der Kundenakquise nicht aus den Augen verlieren.
Das RARRA Framework bringt durch die Priorisierung der einzelnen Stufen eine neue Ordnung in das AARRR Framework und eignet sich insbesondere für App-Entwickler und Produkte, die auf eine hohe Anzahl wiederkehrender Nutzer angewiesen sind, um eine Chance im Markt zu haben. Der spannende Kern des RARRA Framework ist die Priorisierung der Funnel-Stufen – wieso also nicht gleich ein eigenes Framework mit eigener Priorisierung der Funnel-Stufen entwickelt?
AARRR konzentriert sich auf die Conversion Rate
Nochmal en detail: Das AARRR Framework fokussiert sich auf die Conversion Rate eines Marketingkanals sowie das Volumen und die Kosteneffizienz pro Neukunde. Zwar wird der Customer-Lifetime-Value nicht außen vor gelassen, die massenhafte Akquise neuer Nutzer liegt jedoch im Fokus.
Daher kann es beim AARRR Framework auch schnell passieren, dass jedes Team sein eigenes Mindset entwickelt, abhängig davon, an welcher Stufe des Funnels sie arbeiten. Das kann dazu führen, dass jedes Team getrennt voneinander an der Erreichung ihrer KPIs arbeitet. Akquiriert das Marketing Team z.B. schlechte Nutzer, wird es für das Produkt-Team schwer, die Retention-Ziele zu erreichen.
RARRA legt den Fokus auf die Retention
Das RARRA Framework setzt hingegen ein ganz anderes Mindset voraus. Alle Stufen des Framework sind aus der Sicht der Retention zu bewerten, was zur Folge hat, dass alle Teams im Unternehmen am selben Ziel arbeiten. Die Retention zu optimieren heißt in der Regel, das Produkt besser zu machen und den Nutzen für den Kunden zu steigern – hier wird ein klarer Fokus auf den Customer-Lifetime-Value gelegt.
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